Sunday, July 26, 2015

An der Grenze. Über Wörter und Welten

2006, September. Ich wollte mit dem Rad, aus Montreal kommend, in die Vereinigten Staaten einreisen. Das Einführen von Lebensmitteln, erinnere ich mich, war streng verboten. Mindestens Nutella war dennoch in den Packtaschen, es muss den Stoff in Kanada gegeben haben. Die vor mir liegende Straße führte am Lake Champlain entlang, ein langer schlanker Silbersee, Winnetou aber weit weg. Dafür zunächst: Der Grenzposten.

Biometrisch war mein Pass keineswegs, also mussten Daten festgestellt werden, Fingerabdrücke, Iriserkennung. Man möchte schließlich wissen, wer ins Land kommt. Dazu zählte auch der obligatorische Fragebogen, auf dem ich besten Gewissens verneinen konnte, je mit den Nazis zu tun gehabt zu haben, und auch in einer kommunistischen Partei war ich nie. Als Teil des Prozedres musste ich einige Fragen des Grenzbeamten beantworten – Zweck der Reise, Zieladresse, nächster Übernachtungsort – recht präzise Fragen zu einer doch recht offenen Radreise. Auch zu meiner Arbeit in Deutschland wurde ich befragt: „I work as a translator in a translation agency,“ mag ich gesagt haben. Daraufhin die Frage, die mir bis heute nachklingt: „What is your company producing?“ Ich war entgeistert. Ich fing an, die Arten von Texten aufzuzählen, die wir so übersetzen, darunter „Online Help", die Hilfetexte, die jedes Computerprogramm begleiten. Das verstand der Grenzbeamte – oder meinte es zu verstehen, denn auch er hätte ja bei Computerproblemen schon einmal bei beim Support bzw. einer „Helpline“ angerufen. Auf eine Korrektur des Missverständnisses verzichtete ich. Ich durfte einreisen, ohne Gepäckkontrolle.

Aber die Frage, gestellt beim Eintritt in Gottes eigenes Land, also mit allem Recht eine Gottesfrage, ereilt mich doch immer wieder: „What are you producing?“, oder gewendet, was schaffst du, worin liegt deine Produktivität, dein Werk?

Dabei hätte ich die Frage des Grenzbeamten eigentlich auch mit einem einzigen Wort beantworten können: Wörter.

Es sind nur Wörter, sagte ein Kollege vor vielen Jahren einmal, als ich mich – wie oft schon – über den zu schwer erkennbaren Sinn und die Kompliziertheit der Sprache in technischen Texten aufregte. Meine Antwort damals: „Nein, Welten.“

Im Anfang war das Wort, und das Wort war beit Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. (Johannes 1,1-2)

Nur Wörter. Ein Rauschen, ein Wind, vorbei. Online Help. Das kenne ich. Du darfst herein.

Hoffentlich bleibt es dabei.