Thursday, July 19, 2012

Warum ich seit fast 5 Jahren zum Bikram-Yoga gehe

Bikram-Yoga ist anstrengend. 26 Übungen bei 38 Grad in 90 Minuten, da strömt der Schweiß. Und es sind Yoga-Übungen, flexible Menschen, zum Beispiel Turner, Tänzerinnen, sind im Vorteil. Ist dieser intensive Yoga-Stil also nur etwas für Sportler? Ein Gegenbeispiel.

Als Fahrradfahrer bin ich langsam. Selbst fülligere Damen mittleren Alters überholen mich. Die Eskaladierwand überwand ich nie ohne Hilfestellung. Die Kletterstange kam ich höchstens einmal hoch. Danach hatte ich Reibewunden an den Füßen. Beim Bockspringen verunglückte ich, Gehirnerschütterung. Keine Fage, besonders beweglich oder sportlich war ich nie, trotz mancher Radreise in den letzten Jahren.

Dennoch ich gehe zum Bikram-Yoga, seit fast 5 Jahren, und das doch sehr regelmäßig.

Warum? Wie geht das zusammen?

Zuerst: Ich gehe zum Bikram-Yoga, gerade weil ich keine Sportskanone bin. Schon im allerersten Kurs musste ich feststellen, dass ich nicht auf einem Bein stehen kann. Schrecklich. Ich kann nicht auf einem Bein stehen, erster Kurs. Danach kam mir der Trinkspruch in den Sinn: Auf einem Bein kann man nicht stehen. Kann man nicht - kann ich nicht. Also ging ich - schrecklich hin oder her - zu meinem zweiten Kurs. Danach spürte ich, dass etwas in meinem Körper passierte, was ich so zuvor noch nie erlebt hatte und was bis heute unvergleichlich ist.

Da ist zunächst jene kleine Trance, mit der ich nach der Abschlussentspannung aus dem Studio schwebe. Die Farben können dabei variieren, von glücksviolett mit hellem, offenen Herzen über woistderapfel-gelbgrün bis haselnussbodenbraun mit hängendem Gemüt oder wutwolkendunkelgrau. Niemand sagt, dass Yoga nur und immer glücklich macht, und doch macht es genau das immer wieder am Ende doch. Meine Brille brauch ich danach nicht mehr, vergesse sie und merk's nicht mal auf dem Fahrrad (so wirklich geschehen). Bei aller Erschöpfung bin ich sehr wach, alle Zellen schwingen auf einer seltsamen Frequenz, die auch noch am nächsten Morgen noch in mir sein kann. Und das ist wirklich ganz anders als nach dem Radfahren. Auch nach 3-5 Stunden auf dem Rad ist der Körper natürlich in anderen Sphären, dennoch ist die Melodie wahrnehmbar anders. Mir fehlt das Yoga auch dann, wenn ich länger als eine Woche mit dem Rad unterwegs und also sehr wohl in Bewegung bin.

Hat sich durch die Yoga-Praxis etwas verändert?

Ich lerne, dass ich nicht immer bewerten soll. Es geht nicht darum, wie „gut“ ich die Übungen mache, wie tief ich hineingehen kann, wie lange ich sie halten kann. Manchmal stehe ich etwas besser auf einem Bein, gelingt sogar ein stehender Bogen, aber oft genug klappt es mit den Einbeinständen partout nicht, immer noch nicht. Das ist vielleicht eine Frage der Füße, auf jeden Fall aber der Balance, auch der inneren. Ich lerne: Ein Prozent richtig machen und stetig dabei bleiben, das wirkt, das genügt. Dann kann ich, die Arme in Volleyball-Haltung ausgestreckt, die Handflächen nach unten, auf dem Bauch liegen, und die rechte Schulter tut nicht mehr weh. Das war das erste, was sich änderte - eine Resteinschränkung aufgrund einer Oberarmkopfinfraktur verschwand. Die hier im Blog beschriebene Radreise durch Chile gelang weitgehend ohne Kniedramen. Und ich kann mir bis heute - trotz aller Komplikationen - nicht vorstellen, wie die Rehabilitation nach meiner Knie-OP ohne Yoga gelungen wäre. Ich kann mich immer öfter im Spiegel ansehen, wohlwollend.

Heute kann ich mir ein Leben ohne Yoga, ohne Bewegung, nur mit Büchern, Wörtern und Gedanken gar nicht mehr vorstellen. Ich brauche beides und bin doch kein großer Sportler.

Postscriptum: Ich bin nicht mit der Yoga-Branche verbunden und schreibe darüber aus uneigennützigem Antrieb. Übrigens auch über Schwierigkeiten, nur war das nicht mein Thema heute.

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